Coronavirus: Urvertrauen statt Angst als Weg

Erster Mai: Üblicherweise wandern wir in unserer Gegend am ersten Mai durch Wald und Weinberge – von Hocketse zu Hocketse, von Fest zu Fest, genießen die Gemeinsamkeit mit Freunden, die lockere Atmosphäre, das Sein.

 

Erster Mai 2020: wir halten Abstand, wenn wir anderen begegnen. Trotzdem ergibt sich ein Gespräch. Aus dem anfänglichen Übereinstimmenden „schade, dass wir in diesem Jahr so eingeschränkt sind“, entwickeln sich sehr schnell zwei Positionen.  Ich lausche dann nur noch schweigend den Argumenten. Erstens:  „… und wenn wir alles freigeben und dann Tausende von Corona-Toten haben? Das kann doch niemand verantworten!“. Zweitens „willst du etwa damit sagen, dass die Alten sterben sollen? ICH will, dass MEINE Eltern noch lange leben.“  Wieder daheim schaue ich

 

 – mit zwei Metern Abstand - nach meiner 84jährigen Schwiegermutter. Müde ist sie von der Isolationshaft. Unendlich müde. Spazierengehen oder spielen mag sie deshalb nicht. „Der Tag geht einfach nicht rum. Ich weiß gar nicht, was tun. Ich warte jetzt noch bis halber und dann leg ich mich wieder hin. Stille. Und dann: Ich habe doch mein Leben schon gelebt. Es war gut. Warum muss ich mir das jetzt alles noch antun?“, fragt sie mich. Sie macht sich Sorgen um ihre Freundin. Diese ist vor zwei Tagen gestürzt. Kam ins Krankenhaus. Niemand darf sie besuchen. Der Ehemann durfte ihr noch nicht einmal die Sachen ins Zimmer bringen oder die Telefonkarte fürs Zimmer freischalten. Niemand scheint zu wissen, ob die spontane Hüft-Operation gut verlaufen ist.  

 

 

Auf meiner Homepage erlaube ich mir nun die Worte, die ich heute Morgen, dort im Wald heruntergeschluckt habe. Ich bin meinem Gefühl gefolgt. Heute Morgen und auch jetzt.

 

 

Das erste Argument

 

 

„… und wenn wir alles freigeben und dann Tausende von Corona-Toten haben? Das kann doch niemand verantworten!“,

 

 

entspringt – meiner Wahrnehmung nach - der Angst. Die Frage ist aus der Angst heraus formuliert. Die darauf folgende Behauptung macht Angst. Richtig, eine solche Situation möchte niemand verantworten müssen. Und damit sind wir mitten drin im aktuellen Teufelskreis. Wer wird sich trauen, die Grippewelle Corona für beendet zu erklären? Und wann?

 

Vielleicht aber ist die Angst schädlicher als das Coronavirus?

Die Rezession ist bereits da. Wie viele Menschen sind in Kurzarbeit, arbeitslos, ohne wirtschaftliche Perspektive? Wie viele Jahre werden wir brauchen, um die Rezession zu überwinden, wie viele, um die Schulden abzuzahlen?  Wie viele Menschen müssen wir aus der Depression holen, wie viele werden keinen anderen Ausweg sehen, als sich das Leben zu nehmen? Wie viele Menschen in ärmeren Ländern wurden entlassen, ohne einen Rettungsschirm, wie Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld, Harz IV? Was passiert mit ihnen und ihren Familien? Daheim bleiben müssen – ohne soziale Kontakte – auf engem Raum – ohne Balkon oder Garten. Wie viel sozialen Sprengstoff haben wir erschaffen? Genervte Kinder, genervte Eltern, die Kinder und Home Office oder Kinder und Zukunftsangst unter einen Hut bringen müssen. Wird die Schere zwischen guten und schlechten Schülern noch weiter aufgehen? Und WER kann DAS verantworten?

 

 

Schauen wir uns eigentlich an, an was genau die Corona-Toten gestorben sind? Untersuchen wir, ob diese Toten eventuell Gemeinsamkeiten hatten? Zum Glück gibt es ja medical detectives. Siehe dazu bitte den Rubikon-Artikel "Der Pandemie-Krimi" von Wolfgang Wodarg.

 

Die Corona-Pandemie hat uns eines wieder näher gebracht: die Hygiene. Wer von uns weiß denn, ob es nicht auch schützend (gewesen) wäre, wenn wir unser Immunsystem, unsere Abwehrkräfte stärken. Durch eine ausgewogene Ernährung, frische Luft, Sport, Kommunikation, Interaktion, Glücklich sein, Miteinander Lachen, uns begegnen.

 

 

Wir sind heute an vielen Spielplätzen, Sportstätten und Aussichtsplätzen vorbeigefahren. Alles war gesperrt. Da habe ich mich gefragt, ob es einen Unterschied macht, ob wir uns auf Wegen begegnen und Abstand zueinander halten oder uns auf Aussichtsplätzen begegnen und Abstand zueinander halten? Ich sehe nur einen Unterschied. Auf einem Aussichtsplatz können wir inne halten, genießen, uns geht das Herz auf, wenn wir in die Weite schauen. Beim Sport komme ich in die Bewegung und in den Flow. Und schwupps. Bin ich in der Freude und der Lebenslust. Und nicht mehr in der Angst.

 

Das zweite Argument

 

 

„willst du etwa damit sagen, dass die Alten sterben sollen? ICH will, dass MEINE Eltern noch lange leben.“

 

 

entspringt – meiner Wahrnehmung nach – der Angst. Die Frage ist eine Unterstellung. Die darauf folgende Forderung ans Leben steht für mich außerhalb unserer menschlichen Kontrolle.

 

 

Vielleicht aber ist die Angst schädlicher als das Coronavirus?

Ich bin mittlerweile in Frieden mit meinen Eltern. Es gibt aus meiner momentanen Sicht nichts mehr, was ungeklärt oder offen ist. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich glaube fest daran, dass unsere Seele unsterblich ist. Ich glaube fest daran, dass wir einen nächsten wunderschönen Schritt tun dürfen, wenn unsere Seele den Körper verlässt. Wer von uns weiß denn, ob es nicht schöner ist in dieser anderen Dimension? Wer gibt uns das Recht, egoistisch unsere Eltern hier auf Erden halten zu wollen? Viele von uns glauben nicht mehr an das Leben nach dem Tod. Viele sind immer noch traumatisiert vom Mittelalter, wo man uns Schuld und Sühne, Ablassbriefe, die Hölle und die Bestrafung vorgebetet hat. Wir klammern uns an unsere Liebsten, weil wir sie nicht loslassen können. Vielleicht ist das Teil des aktuellen Problems? Vielleicht spuckt uns auch noch die kollektive Traumatisierung aus dem zweiten Weltkrieg in die Suppe. Aus meiner Wahrnehmung fehlt uns „einfach“ das Urvertrauen. Wir glauben, alles im Griff haben zu müssen. Wenn wir kontrollieren, dann können wir es zum Guten wenden? Ist das so? Wissen wir es besser? Und wer kann das verantworten?

 

 

 Das Infektionsschutzgesetz sieht vor, dass Infizierte isoliert werden und Infektionsketten unmittelbar unterbrochen werden. Diese Vorgehensweise hat sich über all die Jahre, über viele Grippewellen bewährt. Wir werden leider erst im Rückblick sagen können, ob der schwedische Weg ausreichend gewesen wäre. Schade.

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Yvonne (Freitag, 01 Mai 2020 18:06)

    Liebe Christiane,
    du sprichst mir aus dem Herzen � ... und hast das eigentliche Thema „die Angst“ wunderbar auf den Punkt gebracht!
    Herzlichen Dank für diesen Blog!

    Alles Liebe für dich & deine Familie
    Yvonne